Ratgeber für die Selbstständigkeit und die Existenzgründung in der Physiotherapie gibt es viele. Dieser Leitfaden ist etwas anders.
Ich bin selbst Physiotherapeut und habe diejenigen gefragt, die eine Physiotherapie-Praxis gegründet haben oder täglich Physiotherapeut:innen bei der Selbstständigkeit unterstützen.
Dieser Schritt-für-Schritt-Leitfaden bündelt die Erfahrung von mehr als 5.000 Stunden mit der Praxisgründung in der Physiotherapie.
Praxisgründung in Physiotherapie: Das Leitfaden-Team
- Fabian Weidner: Existenzgründer
- Laurell Moten: Physiotherapeut
- Olav Gerlach: Physiotherapeut
- Laura Wude: Praxisinhaberin
- Stefanie Anders: Steuerberaterin
- Christian Müller: Unternehmensberater
- Mathias Gans: Unternehmensberater
[1] Zulassungsvoraussetzungen Physiotherapie
Von Laurell Moten, Physiotherapeut
Bevor du eine eigene Physiotherapiepraxis eröffnen kannst, musst du bestimmte gesetzliche Anforderungen erfüllen. Hierbei ist es wichtig, zwischen einer Praxis mit Kassenzulassung (GKV-Patient:innen) und einer reinen Privatpraxis zu unterscheiden.
Praxis für GKV-Patient:innen
- Abgeschlossene Ausbildung: Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung als Physiotherapeut, Masseur, Krankengymnast oder Masseur und medizinischer Bademeister ist erforderlich. Dies muss durch eine Urkunde oder ein Diplom nachgewiesen werden.
- Institutionenkennzeichen (IK): Das IK muss für den GKV-Zulassungsantrag bereits vorliegen und frühzeitig beantragt werden.
- Anerkennung des GKV-Versorgungsvertrags: Die GKV-Versorgungsverträge sind die Grundlage für die Leistungserbringung und Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen. Der Vertrag muss vollständig bekannt sein und die darin festgelegten Regeln müssen anerkannt werden.
- Räumliche Voraussetzungen
- Praxisfläche: Mindestens 23 m², aufgeteilt in einen Behandlungsbereich von mindestens 15 m² und einen weiteren von mindestens 8 m².
- Zusätzliche Behandlungsbereiche von 8 m² für jeden weiteren Therapeuten.
- Keine Durchgangsräume als Behandlungsräume.
- Die Praxis muss öffentlich zugänglich sein.
- Barrierefreier Zugang wird empfohlen, aber Ausnahmen sind möglich.

Reine Privatpraxis
- Keine Zulassungsvorgaben: Es gibt keine spezifischen Zulassungsvorgaben für die Behandlung und Abrechnung von Privatversicherten. Es ist keine Kassenzulassung oder spezielle PKV-Zulassung erforderlich.
- Kein fester Praxissitz erforderlich: Reine "Hausbesuchspraxen" sind erlaubt.
- Einzige Voraussetzung: Eine abgeschlossene, qualifizierte Ausbildung ist die einzige zu erfüllende Voraussetzung. Dies gilt für alle Therapeuten in der Praxis.
Weitere Details zu den Voraussetzungen findest du hier:
➔ Zulassungsvoraussetzungen für Physiotherapiepraxen
[2] IK und Zulassung für deine Selbständigkeit beantragen
Von Laurell Moten, Physiotherapeut
Institutionskennzeichen (IK) beantragen
Vor der Existenzgründung in der Physiotherapie ist die IK-Nummer zu beantragen, die als eindeutige Identifikation der Praxis dient.

Dokumente & Daten sammeln
Für die Beantragung der Kassenzulassung werden folgende Dokumente und Informationen benötigt:
- Praxisname, Adresse und Kontaktdaten
- Schreiben der ARGE IK mit Bestätigung des Institutionskennzeichens
- Raumskizze mit Geräte- und Einrichtungsangaben, m²-Angabe und Raumdefinition
- Kopie des Miet-/Pachtvertrags oder Eigentumsnachweis, ggf. mit Zustimmung zur Untervermietung
- Persönliche Daten und Nachweise über Berufsurkunden und Abschlüsse der Praxisinhaber:in, fachlichen Leitung und Therapeut:innen
- Falls zutreffend: Handels- oder Partnerschaftsregisterauszug sowie Gesellschaftervertrag
Kassenzulassung im Online-Verfahren beantragen
- Im ARGE-Portal registrieren: Anmeldung mit der IK-Bestätigung.
- Daten und Dokumente einreichen: Alle gesammelten Unterlagen digital hochladen.
- Zulassungsbescheid erhalten: Nach etwa zwei Wochen wird die Kassenzulassung über das ARGE Zulassungsportal erteilt und zusätzlich per E-Mail bestätigt.
Mehr dazu findest du hier:
➔ IK & Kassenzulassung in der Physiotherapie
[3] Finanzamt und Steuern: Was du wissen musst
Von Stefanie Anders, Steuerberaterin
Praxisform und Anmeldung beim Finanzamt
- Entscheide dich für die richtige Praxisform: Einzelpraxis, GbR oder GmbH.
- Melde deine Praxis beim Finanzamt an und erhalte eine Steuernummer.
- Beachte steuerliche Pflichten wie Einkommensteuer und ggf. Umsatzsteuer.
➔ Mehr zur Praxisform und Anmeldung
Gewerbesteuer und Umsatzsteuer

- Physiotherapeutische Heilbehandlungen sind meist von der Gewerbesteuer befreit.
- Nicht-therapeutische Zusatzleistungen (z. B. Wellness-Massagen) unterliegen der Umsatzsteuer.
- Falls du sowohl medizinische als auch nicht-medizinische Leistungen anbietest, müssen diese steuerlich getrennt erfasst werden.
➔ Details zur Gewerbe- und Umsatzsteuer
Häufige Steuerfragen
- Welche Kosten sind steuerlich absetzbar?
- Wie funktioniert die Einkommenssteuererklärung?
- Was ist der Unterschied zwischen Freiberuflichkeit und Gewerbetreibenden?
➔ Steuer-FAQ für Physiotherapeuten
Steuerberatung: Lohnt sich das?
- Steuerberater helfen dir, Steuerlast zu minimieren und rechtliche Fehler zu vermeiden.
- Eine frühzeitige Beratung kann finanzielle Vorteile bieten.
- Welche Steuerstrategien sind speziell für Physiotherapiepraxen sinnvoll?
➔ Interview mit einer Steuerberatung
[4] Den Umsatz deiner neuen Praxis kalkulieren
Von Mathias Gans, Unternehmensberater & Ergotherapeut
Nach der Existenzgründung in der Physiotherapie sind Gründerinnen und Gründer in der Regel die einzigen Therapeut:innen in der Praxis.
In den Beispiel-Rechnungen ist zwar von Angestellten die Rede, du kannst die Rechnung aber auch für dich als Solo-Selbstständige:r nutzen.
Um den Umsatz einer Therapiepraxis zu kalkulieren, sind im Wesentlichen drei Fragen entscheidend:
1. Wie viele Stunden arbeitet eine Therapeutin oder ein Therapeut jährlich?
2. In welcher Zeit der jährlichen Stunden generiert sie oder er direkt Umsatz?
3. Wie hoch ist der Umsatz pro Stunde durchschnittlich?
Jahresarbeitsstunden ermitteln
- Berücksichtige, dass Angestellte nicht an Feiertagen (ca. 2 Wochen/Jahr), im Urlaub (5-6 Wochen/Jahr), Krankheitstagen (Ø 3 Wochen/Jahr) und Fortbildungstagen (ca. 1 Woche/Jahr) arbeiten.
- Dies ergibt eine Arbeitszeit von etwa 40 bis 41 Arbeitswochen pro Jahr.
- Multipliziere dies mit den durchschnittlichen Wochenstunden (z.B. 40), um die Jahresarbeitsstunden zu erhalten (z.B. 40,5 Arbeitswochen * 40 Wochenstunden = 1.620 Jahresarbeitsstunden).
Arbeitszeit mit direktem Umsatz ermitteln
- Nicht die gesamte Arbeitszeit generiert direkt Umsatz. Direkte Umsatzzeiten sind beispielsweise Einzel- und Gruppentherapien, Kurse, individuelle Beratungen, Betreuung des Gerätebereichs und Fahrtzeiten zu Hausbesuchen.
- Notwendige Arbeiten ohne direkten Umsatz sind beispielsweise Vor- und Nachbereitung der Therapie, Arztberichte, Teambesprechungen, Pufferzeiten, Terminausfälle und Leerzeiten.
- Realistische Prozentsätze für die Umsatzzeit liegen zwischen 80% und 95%.
Durchschnittlichen Umsatz pro Stunde ermitteln
- Ermittle, was in dieser Zeit wem zu welchem Preis und wie oft verkauft wird.
- Analysiere die Hauptleistungen (z.B. Einzeltherapien der GKV) und deren Verteilung (z.B. 25-40% KG, 25-50% MT etc.). Berücksichtige auch Privatpreise.
- Eine Beispielrechnung zeigt, wie sich der Stundenumsatz anhand der Hauptleistungen überschlagen lässt

Jahresumsatz pro Therapeut berechnen
- Multipliziere die Jahresarbeitsstunden mit dem Prozentsatz der Umsatzzeit und dem durchschnittlichen Umsatz pro Stunde, um den möglichen Jahresumsatz pro Vollzeit-Therapeut zu berechnen.
- Für Teilzeitkräfte berechne den entsprechenden prozentualen Anteil.
Möglichen Gesamtumsatz der Praxis ermitteln
- Multipliziere die Ergebnisse mit der Anzahl der Therapeuten in der Praxis, um den potenziellen Jahresumsatz der gesamten Praxis zu ermitteln.
Die Kenntnis des potenziellen Jahresumsatzes ist unerlässlich, um Gehälter und Investitionen realistisch einzuschätzen. Am schwierigsten zu ermitteln ist der tatsächliche Anteil der Umsatzzeit zur Arbeitszeit, daher ist es empfehlenswert, sich bei der ersten Umsatzkalkulation Unterstützung von Experten einzuholen.
Mehr dazu findest du hier:
➔ Umsatzkalkulation in der Physiotherapie
[5] Gehalt für Angestellte kalkulieren
Von Mathias Gans, Unternehmensberater & Ergotherapeut
Bevor du deine Physiotherapie-Praxis eröffnest, ist der Gedanke an eigene Angestellte weit weg.
Doch die Erfahrung zeigt: In einer Gesellschaft, die immer älter wird, geht es oft schneller als gedacht. Deine Praxis ist ausgelastet und du benötigst Angestellte. So kalkulierst du.
Einfache Methode zur Lohnkalkulation
Eine bewährte Methode zur Gehaltskalkulation orientiert sich am zu erwartenden Jahresumsatz des Therapeuten. Ein Ausschüttungskorridor von 42,5 % bis 50 % des Jahresumsatzes hat sich als praktikabel erwiesen.
Berechnung des monatlichen Bruttogehalts
Monatsumsatz x Ausschüttungsprozent = monatliche Lohnhöhe
Die folgende Tabelle zeigt mögliche Bruttolöhne bei unterschiedlich hohen Jahresumsätzen. Nach der Berechnung des prozentualen Anteils (der monatlichen Lohnhöhe) wurden zusätzlich die Lohnnebenkosten der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers in Höhe von ca. 22 % berücksichtigt.
Monatliche Lohnhöhe = Arbeitnehmer:in Bruttogehalt + 22 % Lohnnebenkosten des AG

Mehr dazu findest du hier:
➔ Gehalt für Angestellte kalkulieren
[6] Privatpreise wirtschaftlich festlegen
Von Laura Wude, langjährige Praxisinhaberin
Wenn du dich in der Physiotherapie selbstständig machst und eine Praxis eröffnest, hast du Besseres zu tun, als dich mit der Theorie rund um Privatpreise zu befassen.
Deshalb eine schnelle Empfehlung: Orientiere dich an den Preisen für gesetzlich Versicherte und multipliziere sie mit einem Steigerungsfaktor. Bei Ärztinnen und Ärzten ist dieses Vorgehen üblich.
Und auch die meisten Physiotherapie-Praxen gehen so vor, hat meine Umfrage ergeben.

So findest du den optimalen Steigerungsfaktor
Welchen Steigerungsfaktor du verwendest, hängt von einigen Faktoren ab. Am einfachsten hast du es, wenn du unseren Privatpreis-Finder nutzt. Er schlägt dir mit wenigen Klicks einen passenden Steigerungsfaktor vor.
- Bundesland: Kaufkraftindex beeinflusst den Steigerungsfaktor.
- Praxissitz: In größeren Städten sind die Preise tendenziell höher.
- Wettbewerb: Viele Praxen im Umfeld können zu niedrigeren Preisen führen.
- Erfahrung: Berufserfahrung, Spezialisierungen und Zusatzqualifikationen sollten sich in den Preisen widerspiegeln.
- Besondere Privatleistungen: Schnellere Termine oder besondere Leistungen können höhere Preise rechtfertigen.
- Ausstattung: Hochwertige Ausstattung kann höhere Preise rechtfertigen.
- Neugründung: In der Anfangsphase sollte man die Preise nicht zu hoch ansetzen.
- Ziel: Ob "angemessene Vergütung", "Gewinnmaximierung" oder "günstige Preise für alle" angestrebt wird, beeinflusst den Steigerungsfaktor.
Privatpreis-Finder: Empfehlung online berechnen
Im Privatpreis-Finder haben wir zu allen Preisfaktoren konkrete Werte hinterlegt. Mit nur wenigen Klicks kannst du damit eine Empfehlung für deinen individuellen Steigerungsfaktor berechnen.
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[7] Behandlungsvertrag & Honorarvereinbarung: mehr als lästige Bürokratie
Von Laura Wude, langjährige Praxisinhaberin
Behandlungsvertrag
Ein Behandlungsvertrag regelt die Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeut:in und Patient:in und definiert die gegenseitigen Rechte und Pflichten. Obwohl er nicht schriftlich sein muss, bietet ein schriftlicher Vertrag mehrere Vorteile:
- Transparenz und Klarheit für beide Parteien
- Rechtssicherheit im Streitfall
- Erfüllung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht
Honorarvereinbarung
Eine Honorarvereinbarung ist besonders wichtig für Privatpatient:innen, Selbstzahler:innen und bei Zusatzleistungen für gesetzlich Versicherte. Sie dient dazu:
- Preise und Zahlungen klar und transparent abzusichern
- Preisdiskussionen zu vermeiden
- Die wirtschaftliche Aufklärungspflicht zu erfüllen
Mehr dazu findest du hier:
➔ Vorlagen und Textbausteine für Behandlungsvertrag & Honorarvereinbarung
8. Mit den Krankenkassen abrechnen
Von Laurell Moten, Physiotherapeut

1. Heilmittelverordnung prüfen
Stelle sicher, dass die ärztliche Verordnung vollständig und korrekt ist. Überprüfe alle Angaben im Personalienfeld (Name, Geburtsdatum, Krankenkasse), die Diagnose, das Heilmittel und ob Arzt-Stempel und Unterschrift vorhanden sind. Fehler müssen vor Therapiebeginn vom Arzt korrigiert werden.
2. Patienten-Anmeldung
Nimm die Verordnung entgegen und erfasse alle relevanten Patientendaten. Ein separater Behandlungsvertrag ist nicht zwingend erforderlich, aber informiere die Patienten über die Zuzahlung und Ausfallgebühren. Plane die Behandlungstermine entsprechend der Verordnung.
3. Gesetzliche Zuzahlung einziehen
Als Leistungserbringer bist du verpflichtet, die gesetzliche Zuzahlung von den Patienten einzuziehen (10 % der Behandlungskosten + 10 € Verordnungsgebühr), sofern keine Befreiung vorliegt.
4. Therapie durchführen und Vorgaben beachten
Achte auf die Gültigkeit der Verordnung (Beginn- und Enddatum). Dokumentiere alle Behandlungen korrekt auf der Verordnungsrückseite. Die Empfangsbestätigung muss vollständig und regelkonform sein.
5. Mit den Krankenkassen abrechnen
Bereite die Verordnung für die Abrechnung vor, sobald sie abgeschlossen oder abgebrochen wurde. Achte auf die Abrechnungsfristen (innerhalb von 9 Monaten nach Ende der Verordnung). Die Abrechnung erfolgt elektronisch mit den entsprechenden Datensätzen und den erforderlichen Unterlagen in Papierform. Bei einer rein manuellen Abrechnung gibt es Kürzungen.
Mehr dazu findest du hier:
➔ GKV-Abrechnung in der Physiotherapie
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