Praxisgründung zwischen Euphorie und Ernüchterung – ein Mutmacher


Pia Höllwig (Kommunikations- und Branchenexpertin)
05.09.2024

Im Gespräch berichtet Rieke Guhl von der ersten Idee bis zur finalen Eröffnung, von Visionen, Luftschlössern und Zweifeln und davon, warum die richtigen Ansprechpartner:innen für Existenzgründer:innen so wichtig sind. Und sie hat wichtige Tipps für dich, falls auch du über den Schritt in die eigene Therapiepraxis nachdenkst.

Rieke Guhl, Existenzgründerin und Ergotherapeutin

Für dich im Interview

Rieke Guhl

Rieke Guhl ist 31 Jahre alt, ausgebildete und studierte Ergotherapeutin und hat sich einen lang ersehnten Traum erfüllt: Sie hat in Schwerin ihre eigene Ergotherapiepraxis eröffnet.

Vom Luftschlösser bauen in die Realität

Pia: Rieke, du hast es gewagt und deine eigene Ergotherapiepraxis eröffnet. Erzähl doch mal, wie kam es zu dieser Entscheidung?

Rieke: Nach meiner Ausbildung in Schwerin habe ich lange in Hamburg als angestellte Therapeutin gearbeitet - insgesamt 7 Jahre lang in verschiedenen Praxen.

Ich habe da wirklich vieles erlebt, was mir nicht so gut gefallen hat und war dann tatsächlich irgendwann an dem Punkt, an dem ich nicht mehr wusste, ob ich überhaupt noch Ergotherapeutin sein möchte. Dann habe ich kurzerhand meinen Job gekündigt und bin erstmal längere Zeit ins Ausland gegangen, bin gereist, habe gearbeitet.

Dann hat sich alles Stück für Stück ergeben. Ich dachte irgendwann: „Rieke, du hast doch eigentlich einen richtig tollen Job. Nur die Rahmenbedingungen waren bisher nicht so gut. Also musst du das irgendwie anders hinkriegen.“ Und dann war der einzige Weg für mich eigentlich nur noch die Selbstständigkeit.

Und ja – hier bin ich nun. Und ich bin richtig glücklich, dass ich es gemacht habe!

Ich bin richtig glücklich, dass ich es gemacht habe!

Rieke Guhl, Ergotherapeutin und Existenzgründerin aus Schwerin

Rieke Guhl
Existenzgründerin

Du hast mir erzählt, dass es für dich wichtig war, erst einmal Luftschlösser zu bauen und sie dann mit der Realität abzugleichen. Was meinst du damit?

Ja, so bin ich einfach. Ich habe immer ganz viele wirre Gedanken, bei denen viele immer sagen würden: Du schaffst das nicht. Aber genau dadurch habe ich als Ergotherapeutin in der Vergangenheit schon so viel geschafft. Bei mir gilt: Geht nicht, gibt's nicht.

Also eigentlich habe ich wirklich lange nur Luftschlösser gebaut, denn ich wollte mich auch nicht verrennen. 


Realitätsabgleich klingt ein wenig nach Euphorie und dann Ernüchterung. Gab es auf deinem Weg der Praxisgründung Momente, in denen du dachtest, du schaffst das alles nicht?

Und wie. Das war zum Teil richtig schlimm. Ich habe in Berlin studiert und bin immer von Schwerin mit dem Auto gefahren. Ich hatte also viel Zeit zum Nachdenken. Da gab es Stunden, in denen ich total euphorisch war und dann gabs Stunden, da dachte ich: „Schaffst du das alles überhaupt? Schaffst du es, so viel zu arbeiten, dass es sich lohnt?“


Wie bist du damit umgegangen?

Es war dann an der Zeit, mir jemanden zu suchen, dem ich vertraue. Zu dem ich gehen und dem ich meine Spinnereien erzählen kann. Und das war mir besonders wichtig: Dass jemand mit mir durch diese Zahlen geht, das ist das A und O und mir sagt: „Funktioniert das so oder funktioniert es nicht?“

Durch meine Zeit bei Therapeuten am Limit hatte ich noch viele Kontakte. Und so ging ich zu jemandem, der selbst große Therapiezentren leitet und mich richtig gut kennt. Dem habe ich dann genau erzählt, was ich vorhabe und wir sind zusammen durch die Zahlen gegangen. Denn vieles wusste ich damals einfach noch gar nicht, zum Beispiel, was Versicherungen kosten. Ich dachte, das sei wahnsinnig viel.

Das ist auf jeden Fall mein Tipp: Such dir jemanden, der schon im Job steht, der Ahnung von Finanzen hat und dem du vertraust. Dann hast du gleich am Anfang einen Realitätscheck.

Und ich weiß noch genau, wie ich bei ihm am Tisch saß und dann meinte: „Das ist ja machbar!“ Ich konnte mein Glück gar nicht fassen, weil ich da das erste Mal richtig gemerkt habe, dass mein Plan funktionieren kann.

Das ist auf jeden Fall mein Tipp: Such dir jemanden, der schon im Job steht, der Ahnung von Finanzen hat und dem du vertraust. Dann hast du gleich am Anfang einen Realitätscheck.

Rieke Guhl, Ergotherapeutin und Existenzgründerin aus Schwerin

Rieke Guhl
Existenzgründerin

Lieber weniger, aber dafür gute Kontakte!

Hast du da einen Tipp für Existenzgründer:innen? Wie finden sie eine Vertrauensperson oder einen Art Begleiter:in für den Anfang?

Also wenn man schon ein paar Jahre gearbeitet hat, hat man ja meist schon ein paar Therapeut:innen kennengelernt, ob jetzt direkte Kolleg:innen, bei Fortbildungen oder im privaten Umfeld. Wir bewegen uns ja schon in einer Art Bubble. Ich kenne sogar noch einige Leute aus meinen ersten Praktika.

Ich habe außerdem sehr viele wertvolle Kontakte über die Therapeuten-Demos damals geknüpft. 

Ansonsten können die sozialen Netzwerke noch eine Möglichkeit sein. Das war zwar für mich persönlich nichts, aber besonders auf Facebook gibt es da wirklich noch viele Gruppen. Ich kann jedoch aus eigener Erfahrung sagen, dass man besonders auf Social Media aufpassen muss, sich nicht verunsichern zu lassen, denn da bekommt man zu sehr vielen Dingen sehr viele Meinungen.

Generell würde ich immer sagen: Lieber wenige Kontakte, aber dafür gute Kontakte! Mir war es sehr wichtig, Menschen an meiner Seite zu haben, die ich kenne und denen ich vertraue.

Mir war es sehr wichtig, Menschen an meiner Seite zu haben, die ich kenne und denen ich vertraue.

Rieke Guhl, Ergotherapeutin und Existenzgründerin aus Schwerin

Rieke Guhl
Existenzgründerin

Wie stehst du zu Existenzgründer-Seminaren?

Natürlich habe ich darüber nachgedacht, ein Seminar zu besuchen, das kommt einem ja sofort in den Sinn, wenn man darüber nachdenkt. Und das kann auch für viele ein guter Einstieg sein.

In so einem Kurs sitzen dann natürlich Leute, die verschieden weit sind. Ich persönlich wusste aber genau, was ich brauche und was ich nicht brauche.

Deshalb habe ich mich dafür entschieden, lieber ein bisschen mehr Geld auszugeben für eine 1-zu-1-Beratung, die genau zu mir und meinem Tempo passt. Ich hatte meine Liste mit Dingen, die ich wissen wollte und habe genau die Infos bekommen, die ich brauchte. 

So hatte ich über mehrere Monate hinweg eine Betreuung und konnte immer dann Termine machen, wenn ich einen Schritt weiter war. Mal haben wir uns jede Woche getroffen, mal mehrere Wochen gar nicht – insgesamt über fast 6 Monate hinweg. Ich konnte meine Fragen zum Mietvertrag, zu Versicherungen stellen, habe eine Kalkulationstabelle bekommen usw.

https://thevea.de/wp-content/uploads/2024/09/Frageliste-Existenzgruendung-1.pdf

Tipp

Rieke hat sich für das Betreuungsangebot der Unternehmens- und Wirtschaftsberatung Christine Donner entschieden. Christine ist seit über 20 Jahren in der Unternehmensberatung im Bereich Gesundheitswesen tätig und geschäftsführender Vorstand des BED e. V. – sie kennt die Branche also richtig gut.

Der endgültige Startschuss

Welche Punkte hattest du denn für dich abschließend geklärt, bist du konkret losgelegt hast mit der Praxisgründung?

Ich habe mir ausgerechnet, wie viele Stunden ich an meinen Klient:innen sein muss, damit ich mir meine Praxis leisten kann. Also eigentlich waren vor allem die Finanzen wichtig.

Und dann die Immobiliensuche, das war auch wirklich ein großes Thema. Überhaupt Räume zu finden, dann die Sache mit der Barrierefreiheit. Das hat auch alles echt lange gedauert. Über ein halbes Jahr lang habe ich jeden Morgen beim ersten Kaffee Portale wie Kleinanzeigen, ImmoScout24 oder Immonet durchsucht – denn schnell sein ist dabei alles. Fündig geworden bin ich dann auf Kleinanzeigen.

Und wann kam der Punkt der Kassenzulassung?

Relativ spät. Ich habe mir online beim BED e. V. eine Liste heruntergeladen, was ich alles für die Zulassung brauche. Auch, weil ich mich am Anfang gefragt hatte, ob ich wirklich eine eigene Praxis brauche oder mich irgendwo einmieten kann. Das war zwar für mich nichts, kann aber für viele Gründer:innen eine gute Variante sein, wie man leicht anfangen kann. 

Die Zulassung zu beantragen, war dann einer der allerletzten Punkte. Du kannst die Praxis erst zulassen, wenn Möbel drin stehen, wenn der Brandschutz geklärt ist, wenn dein Trinkwasser geprüft wurde usw. 

Es könnte also theoretisch passieren, dass du die Praxis fertig hast und dann keine Zulassung bekommst?

Theoretisch schon. Aber man macht sich ja vorher viele Gedanken und hat die Unterlagen, wo wirklich genau steht, welche Anforderungen man erfüllen muss, wie groß die Räume sein müssen, wie es mit Fenstern in den Räumen ist usw. Also vor der Zulassung hatte ich gar nicht so wirklich Angst.

Zulassung beantragen

So klappt es mit der Zulassung für GKV, andere Kostenträger und als Privatpraxis – von IK-Nummer bis zum Antrag im ARGE-Portal.

Du hattest im Vorgespräch erwähnt, dass IT und Praxisdigitalisierung große Themen für dich waren. Was gab es da alles zu beachten?

Genau, ich dachte, das sei ein riesiger Punkt. Das Gute ist, dass ich meinen Laptop und mein Tablet schon vorher hatte. Trotzdem brauchte ich einiges neu, zum Beispiel Handy und Drucker. Das sind schon Posten, die Geld kosten. Das sind Dinge, die man unterschätzt, weil man denkt, das sind ja alles nur Kleinigkeiten. 

Beim Thema Internetvertrag dachte ich, das wäre richtig teuer. Aber da kann ich nur den Tipp geben: Viele Anbieter haben super Businesstarife, da zahle ich nun viel weniger, als ich dachte. 

Und dann war da natürlich die Frage nach der Software. Mir war klar, dass ich keinen Zettel möchte bzw. so wenig Zettel wie möglich. Und klar: Die Digitalisierung und die TI werden definitiv kommen, darauf wollte ich vorbereitet sein. Da sollte man wirklich genau gucken, was das im Monat dann kostet. Denn je nachdem, wo man ist, kostet die Software mehr als der ganze Rest. 

Ich habe mich dann für thevea entschieden.

Riekes Geheimtipp:

Kümmere dich rechtzeitig darum, dass deine Praxis bei Google als Unternehmensprofil gelistet wird. Rieke hat es selbst erlebt: Alles war fertig, die Website stand, aber kaum jemand rief an – sie war nämlich nicht über Google Maps auffindbar.  

Hast du sonst noch einen wichtigen Ratschlag?

Ja, kümmert euch zuerst um einen:n Steuerberater:in! Ich weiß nicht, wie Menschen es ohne schaffen. Ich hatte meinen schon, noch bevor ich ein Geschäftskonto hatte. Es sind so viele Sachen: Was kann ich wie absetzen? Wie funktioniert das mit der Steuererklärung? Wie mache ich das mit dem Geld generell? Wirklich, ich bin so froh über meinen Steuerberater!

Übrigens – was wir zuerst gemacht haben: Wir haben für die letzten zwei Jahre meine Steuererklärung widerrufen und zum Beispiel die Kosten meines ganzes Studiums anrechnen lassen. Man kann vieles, was man schon vor der Selbstständigkeit gemacht und gekauft hat, noch einreichen. Bewahrt also unbedingt Belege und Co. auf!

Und zuletzt: Auch du kannst den Schritt der Praxisgründung schaffen! Es funktioniert wirklich!

Kümmert euch zuerst um eine:n Steuerberater:in! Ich weiß nicht, wie Menschen es ohne schaffen.

Rieke Guhl, Ergotherapeutin und Existenzgründerin aus Schwerin

Rieke Guhl
Existenzgründerin

Rieke, vielen Dank für das tolle Gespräch und die wertvollen Tipps!


Selbsttest: Welche:r Therapeut:in möchtest du sein?

Diese Fragen haben Rieke bei der Praxisgründung geholfen.

Ein kleiner Einblick in Riekes Praxis

So sieht Riekes Praxis aus.

Wer hier für dich schreibt

Pia Höllwig (Kommunikations- und Branchenexpertin)

Durch ihre langjährige Erfahrung im Gesundheits- und Heilmittelbereich kennt Pia Höllwig die Branche mittlerweile in und auswendig. Die Themen TI und Existenzgründung liegen ihr dabei besonders am Herzen. Ihr Wissen gibt Pia regelmäßig in Expertenbeiträgen und Seminaren weiter.

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