Langfristiger Heilmittelbedarf und besonderer Verordnungsbedarf


Philipp Engbarth (Betriebswirt & TI-Experte)
15.05.2024

Langfristiger Heilmittelbedarf und besonderer Verordnungsbedarf


Philipp Engbarth (Betriebswirt & TI-Experte)

Einige Patient:innen benötigen intensivere und längere Heilmitteltherapie, als sie nach den Regeln des Heilmittelkatalogs möglich ist. Die Ursachen dafür können etwa chronische Erkrankungen oder die Folgen schwerer Unfälle sein.

Für gesetzlich Versicherte mit solchen schweren funktionellen oder strukturellen Schädigungen wurden der langfristige Heilmittelbedarf (LHB) und der besondere Verordnungsbedarf (BVB) definiert.

In diesem Beitrag erfährst du, was das Ganze genau bedeutet, wie du den LHB oder BVB auf GKV-Heilmittelverordnungen erkennst und worauf du bei der Verordnungsprüfung sowie -durchführung achten solltest.

Was versteht man unter besonderem Verordnungsbedarf (BVB) und langfristigem Heilmittelbedarf (LHB)?

Liegt bei einer Patientin oder einem Patienten ein LHB oder BVB vor, dürfen mehr Behandlungseinheiten verordnet und durchgeführt werden, als es die Höchstverordnungsmenge des Heilmittelkatalogs normalerweise erlaubt. 

Zudem ist die Ausstellung solcher Heilmittelverordnungen für Ärzt:innen immer budgetneutral. 

Für welche Erkrankungen das möglich ist, wird in zwei Listen festgelegt: 

  1. Diagnoseliste zum LHB wird durch den G-BA in Anlage 2 der Heilmittel-Richtlinie (ab Seite 45) festgelegt
  2. Diagnoseliste zum BVB wird durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den GKV-Spitzenverband festgelegt.

➡Zusammengefasst werden alle LHB- und BVB-Diagnosen beider Listen in diesem Dokument der KBV. Wenn du ohne unterstützende Praxis-Software arbeitest, ist das dein Nachschlagewerk bei der VO-Prüfung – dazu gleich mehr.


Definition von LHB und BVB

Die zwei unterschiedlichen Begriffe sind vorrangig für verordnende Ärzt:innen ausschlaggebend – sie bestimmen den möglichen Zeitraum, für den umfangreichere Heilmittelverordnungen budgetneutral ausgestellt werden können. 

Besonderen Verordnungsbedarf: Diagnosen, welche durch ein Akutereignis (z. B. Schlaganfall) ausgelöst wurden und für deren Heilung über einen begrenzten Zeitraum (z. B. von bis zu einem Jahr nach Ereignis) intensivere Heilmitteltherapien verordnet werden können. 

Langfristiger Heilmittelbedarf: Diagnosen, für deren Behandlung intensivere Therapie über ein Jahr hinaus notwendig sein kann und verordnet werden darf (z. B. bei chronischen Erkrankungen wie Parkinson-Syndrom).

💡Für dich als Physiotherapeut:in, Ergotherapeut:in oder Logopäd:in ergibt sich kein Unterschied zwischen dem langfristigen Heilmittelbedarf und dem besonderen Verordnungsbedarf. Bei der Verordnungsprüfung und -durchführung gelten für beide identische Regeln – auch dazu gleich mehr.

🤓 Fun-Fakt am Rande: Vermutlich wegen ihrer identischen Auswirkungen werden die beiden Begriffe sehr häufig durcheinandergewürfelt: Google-Suchanfragen zeigen, dass nicht selten auch nach „langfristiger Verordnungsbedarf“ oder „besonderer Heilmittelbedarf“ oder „besonders langfristiger Heilmittelverordnungsbedarf“ gesucht wird. Falls Patient:innen also mit dieser Art Begriffe auf euch zu kommen, meinen sie vermutlich den hier beschriebenen LHB und BVB 😉


Wie kann für einen LHB und BVB verordnet werden?

Im Heilmittelkatalog wird für jede Diagnosegruppe eine Höchstmenge an Behandlungseinheiten je Verordnung festgelegt. Regulär darf diese Menge bei der Abrechnung nicht überschritten werden, selbst wenn Verordnende mehr Einheiten angegeben haben sollten.

  • Physio: je nach Diagnosegruppe max. 6 bzw. 10 Behandlungen je VO
  • Ergo: je nach Diagnosegruppe max. 10 bzw. 20 Behandlungen je VO
  • Logo: je nach Diagnosegruppe max. 10 bzw. 20 Behandlungen je VO

Nur, wenn ein langfristiger Heilmittelbedarf oder besonderer Verordnungsbedarf vorliegt, ist die Durchführung einer überschrittenen Höchstverordnungsmenge für dich als Therapeut:in sicher abrechnungsfähig.


3 Grundregeln für die Behandlungsmenge bei LHB und BVB:

1️⃣Ärzt:innen dürfen bei LHB- und BVB-Diagnosen so viele Behandlungseinheiten verordnen, wie mit Einhaltung der angegebenen Therapiefrequenz innerhalb von 12 Wochen theoretisch behandelt werden können. 

💬Beispiel 1: Bei einer Frequenz von 2x pro Woche sind bis zu 24 Behandlungseinheiten in 12 Wochen möglich.

2️⃣Sollten mehr Einheiten verordnet worden sein, macht das die VO nicht ungültig. Du als Therapeut:in darfst aber dennoch maximal nur so viele Einheiten durchführen und abrechnen, wie es Regel 1 vorgibt.

3️⃣Therapeut:innen dürfen die Verordnung auch länger als 12 Wochen durchführen – der Zeitraum gilt nur für die theoretische Berechnung der korrekten Behandlungsmenge. Es gelten die bekannten Unterbrechungsregeln und Gültigkeitsfristen des jeweiligen GKV-Vertrages.

➔ Rahmenvertrag Physiotherapie

➔ Rahmenvertrag Ergotherapie

➔ Rahmenvertrag Logopädie

➔ Rahmenvertrag Podologie


Muss ein LHB oder BVB durch die gesetzliche Krankenkasse genehmigt werden?

Nein – es muss keine Genehmigung eingeholt werden, wenn auf der Verordnung ein ICD-10-Code der oben genannten Diagnoselisten angegeben ist. 

Ja – es kann eine LHB-Sondergenehmigung für andere Diagnosen eingeholt werden bzw. bereits vorliegen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stellt Patient:innen für den Antrag eines individuellen langfristigen Heilmittelbedarfs, eine detaillierte Anleitung sowie ein Musterschreiben zur Verfügung – die Informationen darauf sind auch für Therapeut:innen interessant! 

Voraussetzung ist eine entsprechende Verordnung, welche einen LHB ärztlicherseits begründet. Daraus muss hervorgehen, ...

  • ... dass eine mit der Diagnoseliste vergleichbare schwere und langfristige Erkrankung vorliegt und
  • deshalb die Notwendigkeit einer fortlaufenden Heilmitteltherapie über mindestens ein Jahr besteht. 
  • Das kann sich auch aus der Summe einzelner Erkrankungen (aus mehreren ICD-10-Codes) ergeben. 

Mit einer Kopie dieser Verordnung können Patient:innen ihren Antrag mithilfe des G-BA-Musterschreibens direkt bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse stellen. Die Genehmigung darf maximal vier Wochen dauern – sollte dann keine Rückmeldung erfolgt sein, gilt der Antrag automatisch als genehmigt.

💡Übrigens: Während einer Antragsstellung darf die Therapie auf der Originalverordnung bereits begonnen werden. Für deine Abrechnungssicherheit solltest du die Höchstverordnungsmenge des Heilmittelkatalogs aber erst nach schriftlicher Bestätigung des Antrags überschreiten.

Verordnungscheck: So erkennst und prüfst du LHB- und BVB-Verordnungen

Keine Sorge, du musst nicht alle ICD-10-Codes der oben beschriebenen Diagnoselisten im Kopf haben, um einen LHB oder BVB auf einer Heilmittelverordnung zu erkennen. 

Für dich als Therapeut:in ist eine Überschreitung der Höchstverordnungsmenge des Heilmittelkataloges der erste Hinweis darauf. 

Wenn keine Sondergenehmigung vorliegt, prüfst du zuerst, ob es sich wirklich um einen langfristigen Heilmittelbedarf oder besonderen Verordnungsbedarf handelt und ob alle Voraussetzungen dazu eingehalten wurden. Anschließend solltest du auch die Behandlungsmenge gemäß der 12-Wochen-Regel prüfen. 

Tipp: thevea-Verordnungscheck übernimmt Prüfung für dich

Wenn du thevea bereits nutzt, übernimmt der intelligente Verordnungscheck die folgend beschriebene Prüfung der LHB- und BVB-Diagnosen sowie der Behandlungsmenge für dich. 

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Schritt 1 - LHB- bzw. BVB-Diagnose überprüfen

Wenn keine Sondergenehmigung vorliegt, müssen die folgenden drei Fragen mit “Ja“ beantwortet werden können – andernfalls handelt es sich nicht um eine LHB- oder BVB-Verordnung und die VO darf nur mit der regulären Höchstverordnungsmenge nach Heilmittelkatalog durchgeführt und abgerechnet werden.

  1. Ist der ICD-10-Code in der Diagnose-Liste aufgeführt und wurde, wenn notwendig, auch der zweite Code auf der VO angegeben?
  2. Wird die verordnete Diagnosegruppe zum ICD-10-Code aufgeführt?
  3. Liegt ggf. eine Altersbeschränkung für die Diagnose vor und wenn ja, wird diese erfüllt?

Diagnose-Prüfung mithilfe der KBV-Liste – So geht’s:

LHB und BVB: Diagnoseprüfung mithilfe der KBV-Diagnoseliste in 4-Schritten
  1. Öffne das PDF der KBV-Heilmittel-Diagnoseliste.
  2. Prüfe mithilfe der PDF-Suche, ob der verordnete ICD-10-Code bzw. die Codes darin gelistet sind. Wenn in der zweiten Spalte ein weiterer ICD-10-Code angegeben ist, muss auch dieser auf der Verordnung vermerkt sein.
  3. Prüfe, ob die verordnete Diagnosegruppe für deinen Heilmittelfachbereich festgelegt wurde.
  4. Schaue unter „Hinweis/Spezifikation“, ob für diese Diagnose eine Altersbeschränkung vorliegt und prüfe anhand des Geburtsdatums auf der VO, ob die Patientin oder der Patient diese Voraussetzung erfüllt. 

💡Wichtig: Nur die Altersbeschränkung ist für dich als Therapeut:in bei der Prüfung relevant. Hinweise zum Akut-Ereignis, diagnostischen Einschränkungen oder zum ärztlichen Behandlungskontext sind nur von Ärzt:innen zu beachten und können/müssen von dir nicht überprüft werden – sie sind kein Grund für Rechnungskürzungen. 

✅✅✅ Du kannst alle drei Prüf-Fragen bejahen? Dann handelt es sich tatsächlich um eine LHB oder BVB-Verordnung. Jetzt solltest du für deine Abrechnungssicherheit noch die Behandlungsmenge prüfen.


Schritt 2: Prüfung der Behandlungsmenge 

Grundregel: Die Summe der abrechnungsfähigen Behandlungseinheiten muss im Kontext der Therapiefrequenz innerhalb von 12 Wochen durchgeführt werden können. 

Rechnung zur Überprüfung der Einheiten: Behandlungsmenge geteilt durch Therapiefrequenz muss kleiner oder gleich 12 ergeben.

💬Beispiel 2: 30 Behandlungseinheiten : 3 x pro Woche = 10 ✅

Wichtig für die Berechnung:

  • Wenn mehrere vorrangige Heilmittel verordnet wurden, wird die Summe aller Einheiten der VO angewandt.
  • Ergänzende Heilmittel werden nicht berechnet. Bei Frequenzspannen wird die Höchste für die Berechnung genutzt.

💡Noch einfacher geht die Prüfung mithilfe unserer Übersicht zum Download:

Übersicht: So viele Einheiten sind bei LHB und BVB je Frequenz maximal möglich

❌Sollte das Ergebnis der Rechnung größer als 12 ausfallen bzw. die Maximalmenge überschritten worden sein, wurden zu viele Einheiten oder eine zu kleine Frequenz verordnet.

💬Beispiel 3: 40 Behandlungseinheiten : 2 x pro Woche = 20 ❌

Zwei Korrekturmöglichkeiten bei zu hoher Behandlungsmenge:
  1. Du beginnst die Verordnung unverändert, führst aber maximal so viele Einheiten durch, wie es die 12-Wochenregel im Kontext der verordneten Frequenz erlaubt – jede Einheit über der möglichen Maximalmenge wird nicht vergütet!
  2. Du hältst Rücksprache mit Verordnenden und erhöhst die Frequenz: So, dass die verordneten Einheiten nach der 12-Wochenregel möglich werden. 

Beispiele für langfristigen Heilmittelbedarf und besonderen Verordnungsbedarf 

Beispiel: Korrekt verordneter langfristiger Heilmittelbedarf
Beispiel: Besonderer Verordnungsbedarf mit erhöhter Behandlungsmenge

Fazit

Ein besonderer Verordnungsbedarf oder langfristiger Heilmittelbedarf zeigt anhand der Diagnose einen Mehrbedarf an Heilmitteln auf. 

Dann dürfen Ärzte je nach gewählter Frequenz Behandlungseinheiten für bis zu 12 Wochen verordnen, welche du als Physiotherapeut:in, Ergotherapeut:in oder Logopäd:in sicher durchführen und abrechnen kannst.

Es ist zu prüfen, ob es sich bei der Diagnose (ICD-10-Code) tatsächlich um einen LHB oder BVB handelt, ob die verordnete Diagnosegruppe dafür festgelegt wurde und ob ggf. eine Altersbeschränkung erfüllt sein muss.

Darüber hinaus kann für Patient:innen eine individuelle Genehmigung eines langfristigen Heilmittelbedarfs vorliegen.

In beiden Fällen darf die 12-Wochen-Maximalmenge der Behandlungseinheiten nicht bei der Abrechnung überschritten werden.

Wer hier für dich schreibt

Philipp Engbarth (Betriebswirt & TI-Experte)

Philipp bringt als studierter Betriebswirt tiefgreifendes Know-how in die Welt der Heilmittelrichtlinie und Telematikinfrastruktur ein. Mit ihm bleibt der Paragraphen-Dschungel außen vor und macht jedes Thema für jeden verständlich.
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